Die Projektion der Wut
Die Projektion der Wut – Das bedeutet, wütend sein in seinem ganzen Spektrum … von genervt sein bis zum Empfinden von tiefem Hass… Liegt der Auslöser tatsächlich im Hier und Jetzt? Weil mir gerade jemand „etwas angetan hat“? Weil jemand meine Grenzen überschritten hat? Oder sind das nur Symptome einer tieferliegenden emotionalen Wunde, in die jemand hineinsticht?
Inhaltsverzeichnis über „Projektion der Wut“
Direkt morgens wütende Gedanken
Alter, das mit den Mülltonnen nervt mich tierisch! Das ältere Pärchen in der hinteren Wohnung hat ’ne ganze Papiermülltonne für sich alleine und ich muss mir mit vier anderen eine teilen. Erst in 3 Wochen wird die Tonne geleert und sie ist jetzt schon voll, weil die alle ihre Pizzakartons nicht klein machen und alles bei Amazon bestellen.
Aber ich selbst kann nichts ändern, Mülltonnen sind Sache des Vermieters, da haben Mieter nichts zu sagen. Boah, das macht mich echt wütend, dass der einfach nichts macht. Der hebt seine Hände und sagt: „Hm, ich weiß auch nicht!“. Am besten ruf‘ ich ihn direkt an und frag‘ mal scharf nach. Nur deswegen muss ich jetzt ständig über die Mülltonnen nachdenken, das war schon die ganze Zeit ein Problem, weil ich zwei Wochen lang gar keine Mülltonnen hatte. Ich hab‘ echt Besseres zu tun!
Das kann echt nicht sein!
So hänge ich meinen Gedanken nach während ich in der kühlen Morgenluft joggen gehe. Und gleichzeitig beobachte ich mich dabei, wie ich mich immer mehr in Rage denke, immer genervter werde und diesen Drang verspüre, jetzt direkt auf der Stelle mein Handy zur Hand zu nehmen und den Vermieter anzurufen.
Dabei wird mir klar, dass meine Wut nicht wirklich etwas mit den Mülltonnen zu tun hat. Ich bin mit dem Gedanken aufgestanden, dass mein Vater das Auto haben will, das ich gerade fahre. Und ich will sein Auto nicht. Ich will einfach nicht! Etwas in mir schreit auf bei der Vorstellung, ich müsste mit seinem Auto fahren (es hat etwas mit dem Tod meines Hundes zu tun). Ich will das Auto, das gerade vor meiner Haustür steht, weiterfahren.
Dabei kommt dieses Gefühl der hoffnungslosen Abhängigkeit in mir hoch. Ich spüre eine enorme Hilflosigkeit, das Gefühl mich nicht wehren zu können, mich nicht wehren zu dürfen. Dieses Gefühl, dass ich kein Recht habe etwas gegen die Autoritätsperson zu sagen, weil ich immer den Kürzeren ziehen werde.
Und selbst in diesem Konflikt mit meinem Vater kann ich noch tiefer graben und ich weiß, dass diese Gefühle nichts mit den Autos zu tun haben, sondern mit Erlebnissen in meiner Kindheit, die ähnlich waren.
Erlebnisse in der Kindheit
Als Kind ist man komplett abhängig von Erwachsenen. Wenn man etwas braucht, muss man früh lernen, wie man es bekommt. Bei meinem Vater waren das Argumente. Gefühle zählten nicht. Ich kann nicht einfach sagen: „Ich möchte dein Auto nicht, weil es sich nicht gut anfühlt. Ich will das andere.“ Gefühle hatten in der Welt meines Vaters keine Wahrheit. Und in diesem Dilemma befinde ich mich gerade.
Ich möchte einfach Sicherheit haben, dass ich das, was da ist, auch da bleibt und es mir nicht von irgendjemandem weggenommen werden kann. Diese Sicherheit gab es in meiner Kindheit nicht und in ähnlichen Situation im Hier und Jetzt spüre ich wieder diese Hilflosigkeit, das Gefühl des Ausgeliefertseins.
Und was hat das mit Mülltonnen zu tun?
Ich kann mich gegen meinen Vater nicht wehren. Das ist ganz tief eingeimpft, alles wurde darauf konditioniert, mich nicht gegen Autoritätspersonen zu wehren, von denen mein physisches Überleben abhängt.
Das Gefühl der Hilflosigkeit, das mich einengt, wird zu dem Gefühl der Wut, die sich frei kämpfen möchte.
Aber diese Wut darf ich gegenüber der Person, die sie verursacht, in diesem Fall mein Vater, nicht rauslassen. Also sucht sie sich einen anderen Katalysator. Den Vermieter und die Mülltonnen. Dem werde ich es zeigen! Endlich hat die Wut eine Möglichkeit rausgelassen zu werden. Und meine Gedanken stützen den Glauben, dass allein der Vermieter die Schuld daran trägt, dass mich die Mülltonnen nerven.
Die Projektion der Wut: Was tatsächlich passiert
Die Wut, die ich auf den Vermieter habe, wurde durch eine Situation im Hier und Jetzt ausgelöst. Ja, es ist die Aufgabe des Vermieters für ausreichend Mülltonnen zu sorgen. Aber in Wirklichkeit bin ich nicht wütend auf den Vermieter, sondern auf meinen Vater. Da ich diese Wut gegenüber meinem Vater aber nicht zeigen kann, weil mein gesamtes System in der Kindheit darauf konditioniert wurde, sucht sich die Wut eine andere Möglichkeit gehört zu werden. Da kommt so eine Mülltonnen-Problematik genau recht.
Ich habe mein Handy nicht in die Hand genommen, weil ich weiß, dass das nur eine kurzfristige Symptomerleichterung bringen würde. Ich würde die Wut an einer anderen Person abreagieren bis die nächste Situation kommt, in der mich „jemand wütend macht“. Dabei kommt die Wut nicht aus dem Hier und Jetzt, sondern aus lang vergangenen Zeiten. Aber da ich sie damals nicht rauslassen konnte, findet sie jetzt immer wieder Wege sich Gehör zu verschaffen.
Allein diese Erkenntnis hat mein Denken zum Stillstand gebracht. Ich weiß, dass mich niemand wütend machen kann, außer ich lasse es zu.
Tatsächlich gibt es im Hier und Jetzt noch nicht mal einen Konflikt mit meinem Vater. All die Wut, all die Gefühle, werden gerade von meinen Gedanken ausgelöst. Besonders im Bezug auf meine Eltern sind viele emotionale Verletzungen vorhanden, die ich bis heute ihnen gegenüber nicht ansprechen kann. Ich kann einfach nicht. In Konfliktsituationen werde ich wieder zu diesem hilflosen, abhängigen Kind, das ich früher war, ohne irgendwelche Rechte. Bis heute ist dieses Kind in mir vorhanden und fühlt und verhält sich genauso, wie es konditioniert wurde.
Nur weiß ich inzwischen, dass dieses kleine Mädchen nur ein Aspekt in mir ist. Aber meine Persönlichkeit ist wesentlich komplexer, wesentlicher bunter, wesentlich älter als dieses kleine hilflose Wesen.
Das mit den Mülltonnen wird sich regeln. Und wenn nicht, kann ich total UNgenervt beim Vermieter nachfragen, ob es nicht eine andere Lösung gibt. Aber meine kindliche Wut bekommt er nicht ab.
Fazit zur Projektion der Wut
Meine Emotionen werden im Hier und Jetzt ausgelöst, aber die Ursache liegt oft viel weiter zurück. Ich reagiere im Hier und Jetzt auf eine Bedrohung, die mir in jungen Jahren zugestoßen ist, die aber nicht mehr viel mit der Erwachsenen, die ich heute bin, zu tun hat.
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