Nicht wissen, was kommt – Kontrolle abgeben
Die Kontrolle abgeben ist einer der schwersten Übungen in meinem Leben. Ich musste am Rand meiner physischen Existenz ankommen, bis ich all dem Unwohlsein erlauben konnte da zu sein. Und selbst heute ist meine erste Reaktion auf mein Unwohlsein es kontrollieren zu wollen. Ich will etwas dagegen tun, IRGENDWAS! Kontrolle gibt vermeintlich Sicherheit. Aber es gibt Dinge, die man besser dadurch beeinflusst, dass man ihnen erlaubt da zu sein, anstatt sie zu kontrollieren.
Inhaltsverzeichnis über „Kontrolle abgeben“
So lernte ich die Kontrolle abgeben
In meinem Leben weiß ich nie, wann die Schmerzen, das Unwohlsein und die Traumaflashbacks kommen. Sie kommen langsam angekrochen, in Form von Übelkeit, Krämpfen im Rücken und Traurigkeit. Einfach so.
Ich weiß nicht, was es auslöst, noch gibt es etwas, was es verschwinden lässt.
Ich kann dem allem nur erlauben da zu sein
In all den Jahren habe ich nach und nach gelernt, wie ich am besten damit umgehe. Denn so wie es gekommen ist, geht es auch wieder weg.
Es durchläuft mich.
Wie eine Energie durchwandert es meinen Körper, ohne mir Bescheid zu geben, woher es kommt oder wohin es geht.
Der Anfang
Vor etlichen Jahren, als das alles anfing schlimmer zu werden, habe ich mich dagegen gewehrt, weil ich das Alles nicht fühlen wollte.
Ich wollte keine Schmerzen haben, ich wollte nicht verzweifelt sein, ich wollte, dass es weggeht.
Ich wollte einfach leben
Tag für Tag habe ich mich dagegen zur Wehr gesetzt. Habe krampfhaft Ablenkungen im Außen gesucht.
Bin zu Ärzten, Chiropraktikern, Osteopathen gegangen, in der Hoffnung, dass mir irgendwer helfen kann. Dass es mir jemand wegmacht.
Schneidet es raus, vergiftet es, egal was, MACHT ES WEG!
Aber es ging nicht weg. Es blieb über Wochen. Kontinuierlich wurde es schlimmer. Von Moment zu Moment konnte ich immer weniger essen, mich immer weniger bewegen und ich wurde immer verzweifelter, panischer und trauriger.
Niemand wusste, was es war. Ich auch nicht.
Wer ist Schuld???
Ich habe die Ärzte gehasst, die nichts taten, um mir zu helfen. Habe ihre arrogante Art verabscheut, die Schuld auf mir abzuladen.
Ich sei selbst daran Schuld, dass es mir so schlecht geht, schließlich nehme ich nicht die lustigen Pillen, die sie mir geben wollen. Oder mache die (für mich) traumatischen Untersuchungen, die ihrer Meinung nach all meine Probleme lösen würde.
Dabei habe ich ihre Pillen genommen. Protonenpumpenhemmer, Lavendelzeugs und, und, und.
Nur eine einzige Pille hat alles auf einmal verschwinden lassen: Lorazepam. Ein sehr starkes Beruhigungsmittel aus der Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine.
Unglaublich effektiv … und unglaublich abhängig machend
Es war ein wundervolles Gefühl mir die kleine Schmelztablette unter die Zunge zu legen und zu wissen, in einer Viertelstunde habe ich meine Ruhe. Dann bin ich entspannt, ich kann essen und trinken und habe keine Schmerzen. Mit diesen Pillen wurde alles wieder hell um mich herum. …
…
Bis die Wirkung nachließ. Dann kam nach und nach jedes einzelne Symptom wieder, viel lauter als zuvor. Zumindest nahm ich es lauter wahr, nach der Stille durch die Pillen.
„Ich nehme nur noch eine, bis die Symptome weg sind.“, war dann immer mein Gedanke. Und so lange keine Symptome da waren, war ich fest davon überzeugt, keine einzige dieser kleinen Pillen mehr zu nehmen. Bis die Wirkung nachließ und die Symptome mich anschrieen.
Die Symptome waren immer da, das Medikament hat sie nur unterdrückt.
Aber um mich von diesen Symptomen zu lösen, musste ich sie fühlen und sie nicht länger künstlich unterdrücken.
Mein Kampf mit den Ärzten
Keiner der Ärzte war bereit, mit mir gemeinsam Alternativen zu erforschen, wie mir noch geholfen werden könnte.
Tatsächlich waren sie noch nicht mal bereit sich die Symptome im Detail anzuschauen. Zwei DIN A4-Seiten hatte ich voll geschrieben. Im besten Fall erhielten die Papiere einen kurzen, nicht mehr als höflichen, Blick, richtig angeschaut hat es sich keiner.
Kein Arzt hat sich auf die Suche gemacht, wie in „Abenteuer: Diagnose“.
Es hat keinen Arzt interessiert
Also habe ich das getan, was ich gelernt hatte: Ich habe mir selbst die Schuld gegeben. Habe hinterfragt, was ich esse, was ich fühle, was ich denke.
Kein Wunder, dass es dir so schlecht geht, Johanna, weil du wieder
– einen Apfel gegessen
– Sprudel getrunken
– Yoga gemacht
hast.
Hör einfach auf zu existieren, dann geht das alles weg.
Die Erkenntnis
Ganz langsam wurde mir klar, dass nichts es wegmachen kann. Dass es kommt und geht. Niemand ist schuld daran, schon gar nicht ich.
Es ist einfach da, ein Teil meines Lebens und dann geht es wieder.
Tatsächlich geht es schneller wieder, wenn ich dem Allem erlaube da zu sein. Wenn ich psychisch und physisch komplett zusammenbreche.
Ich liege dann als kleine Kugel neben meiner Couch auf dem Boden, weine laut und durch meinen Kopf und meinen Körper laufen Szene aus meiner Kindheit, die ich nicht verarbeitet habe. Meistens geht es um das Gefühl der Schuld.
Wenn es kommt…
Es ist meistens da, aber irgendwo im Hintergrund. Und dann, an irgendeinem Tag in irgendeiner Woche, blubbert es an die Oberfläche und ich habe jedesmal eine schreckliche Angst. Meine erste, reflexartige Reaktion ist Abwehr.
ICH WILL DAS NICHT FÜHLEN!
Ich will es kontrollieren. Will etwas dagegen tun. Ich will jetzt was anderes machen, ich will nicht zusammenbrechen!
Bis ich mich daran erinnere, dass ich das schon oft erlebt habe und ich weiß, dass es wieder vorbeigeht. Und ich weiß, dass es schneller vorbeigeht, wenn ich ihm erlaube da zu sein. Wenn ich die Kontrolle abgeben kann.
Kontrolle abgeben
So musste ich auf die harte Tour lernen, wie ich die Kontrolle abgeben kann.
Ich brauche keine Pläne zu machen, weil ich nicht weiß, wann ES da sein wird. Ich bin einfach im Hier und Jetzt, achtsam mit mir und meinem Körper.
Meine erste Reaktion ist immer Abwehr und der Wunsch all das Unwohlsein zu kontrollieren.
Kontrolle gibt mir Sicherheit, lässt mich in dem Glauben etwas ändern zu können
Stattdessen ändere ich die Dinge am effektivsten, wenn ich ihnen erlaube da zu sein.
Kontrolle verschlimmbessert nur.
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