Wie sich Hass entwickelt

Wie sich Hass entwickelt

Wie sich Hass entwickelt

Wie entwickelt sich das Gefühl von Hass? Ist es auf einmal da und möchte raus oder sind es vielleicht eher viele kleine Wutmomente, die irgendwann zum Ausbruch kommen? Letzte Nacht konnte ich das Gefühl des Hass deutlich in meinem Körper spüren und konnte beobachten, wie es sich in meinem Organismus ausbreitet. Dieser Hass ist diskriminierend, er will physisch ausgelebt werden und er ist extrem laut.

Hass entwickelt sich schleichend

Inhaltsverzeichnis über „Wie sich Hass entwickelt“

Die letzte Nacht

Das Geräusch von Schritten dringt langsam in mein Bewusstsein. Sie stampfen durch’s Haus. Ein Rollladen wird bewegt. Dann unterhalten sich Menschen.

„Meine Nachbarn sind heute aber früh wach!“, schießt mir durch meine noch schlaftrunkenen Gedanken. Ich taste nach meinem Handy, um nach der Uhrzeit zu schauen. 3:47 Uhr...

DAS IST NICHT IHR ERNST!!!

Wut kriecht in mir hoch. Wieder die Schritte. Gestern Nacht war es bereits dasselbe. Ich habe es satt, immer Ohrstöpsel benutzen zu müssen. Ich wollte meine Ohrstöpselzeit hinter mir lassen. Aber hier geht es gerade weiter.

Ich wälze mich auf meine linke Seite, während mein System in Hab-Acht-Stellung ist. Das passiert immer bei solchen stampfenden Schritten. Mein Nervensystem wurde seit Säuglingsalter darauf konditioniert, diese Schritte zu fürchten. Deswegen wecken sie mich auch mitten in der Nacht. In meiner Kindheit war es lebensnotwendig zu wissen, wo sich die Schritte gerade aufhalten und wo sie sich hinbewegen. Ich brauche dann Stunden bis mein System wieder soweit heruntergefahren ist, dass ich einschlafen kann.

Ich spüre körperlich, wo der Hass sitzt

Auf meinem Brustbein spüre ich einen heißen Druck, der sich immer mehr verdichtet.

HASS!

Ich weiß nicht, woher ich das weiß, aber ich weiß, dass es der pure Hass ist. Hass auf meine Nachbarn, dass sie so sind wie sie sind. Hass darauf, dass sie ohne Bewusstsein durch ihr Leben stampfen, ohne Rücksicht auf andere. Hass darauf, dass sie auf ihrem beschissenen Balkon rauchen und der Rauch zu mir in die Wohnung zieht. Hass darauf, dass sie sich beim Sex immer gleich anhört.

Der hasserfüllte Druck in mir breitet sich weiter aus, er sucht sich seinen Weg durch meine Kehle über meinen Mund und möchte rausgelassen werden.

Ich spüre den Drang gegen die Wand zu treten und zu brüllen: „HALTET EURE VERDAMMTE FRESSE!„.

Hass und die Gedanken

Während ich mich von einer Seite auf die andere drehe in der Hoffnung, doch möglichst bald einzuschlafen, beobachte ich wie sich der Hass weiter ausbreitet.

Er übernimmt meine Gedanken. Ich denke darüber nach, was ich ihnen alles zubrüllen könnte und darüber, was sie mir alles antun.

Sie dringen ungebeten in mein Leben und ICH bin diejenige, die sich selbst einschränken muss, damit sie ihr beschissenes unbewusstes Leben leben können. ICH muss meine Balkontür zumachen, damit sie rauchen können. ICH muss Ohrstöpsel tragen, damit ich wenigstens noch ein bisschen Schlaf bekomme. Nur damit SIE all den Scheiß tun können, der sie und die Gesellschaft nur weiter krank macht.

Am liebsten würde ich aus der Haut fahren. Dieses Gefühl ist so unangenehm und es möchte unbedingt nach draußen. Es möchte ausgelebt werden.

Auf einmal verstehe ich die vielen Menschen da draußen, die mit Hass durch ihr Leben laufen.

Wie entwickelt sich Hass?

Hass ist nicht auf einmal da. Hass setzt sich aus vielen kleinen Wutmomenten zusammen, die zusammengenommen eine explosive Wirkung haben. Schritt für Schritt kommen mehr Sachen hinzu. Und so baut sich der Hass weiter auf, fängt an zu schwelen, glimmt in einem bis ein kleiner Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt und der Vulkan aus Wut und Hass und Abhängigkeit und Eingeschränktheit explodiert.

Ich kenne meine Nachbarn nicht persönlich. Ich kenne nur ihre Geräusche. Es fing an mit ihrem Husten. Ständig waren sie am Husten und wenn sie niest, macht sie dieses bescheuerte Geräusch dabei, voll künstlich! Dann ging es weiter mit dem Rauchen auf dem Balkon. Dann waren Freunde bis mitten in der Nacht zu Besuch. Dann ihre echt nervenden Schritte.

Und so kam immer mehr hinzu, bis sich dieser Hassball auf meinem Brustbein so verdichtet hatte, dass ich daran zu ersticken schien, wenn ich ihm nicht Luft geben würde.

Perspektivwechsel

Ich weiß, dass ich anders darüber empfinden würde, wenn ich sie kenne. Dann wären sie für mich Menschen, die eben das tun, was Menschen tun. Aber der Hass in mir verhindert, dass ich sie kennen lerne. Ich MÖCHTE sie gar nicht kennenlernen. Mit so jemandem möchte ich nichts zu tun haben! DIE sind doch alle gleich!

Ich stelle mir vor, wie es wäre Inder als Nachbarn zu haben und ständig röche das ganze Haus nach diesen kräftigen indischen Gewürzen. Oder es wäre eine russische Großfamilie, die sich immer extrem laut und aggressiv unterhält. Und schon sind wir bei Diskriminierung angelangt. Man wird immer wütender darüber, dass jemand anderes in den eigenen Bereich eindringt. Und wenn es dann noch „offensichtliche“ Gründe gibt, warum man DIE jetzt überhaupt nicht leiden kann, ist der diskriminierende Hass geboren.

Ein Leben in Hass

Wie schrecklich es sein muss, sein ganzes Leben mit diesem Hass zu leben. Und dieser Hass kommt bei jedem Überschreiten der eigenen Grenzen zum Vorschein.

Er ist eng. Er erstickt einen.

Hass führt zu Konflikten bis hin zu Krieg.

Kann man Hass, wenn er sich entwickelt, aufhalten?

Was tun gegen diesen Hass? Wie soll man sich verhalten? Soll ich gegen die Wand treten und sie anbrüllen? Soll ich ein klärendes Gespräch mit meinen Nachbarn suchen? Was würde ich sagen?

„Also, eure Schritte machen mich echt wahnsinnig, bitte lauft achtsamer!“ Das ist bescheuert.

Nimm die Menschen, wie wie sind. Andere gibt es nicht.

Diese Menschen sind so wie sie sind. Mein Druck würde nur zu Gegendruck führen und am Ende gäbe es einen Jahrzehnte andauernden Nachbarschaftskrieg.

Im Krieg gibt es nur Verlierer.

Das sagen mir meine rationalen Gedanken.

Aber was ist mit meinem Gefühl? Der Hass wird dadurch nicht weniger. Er schwelt weiter in mir bis die nächste Situation das Hassfeuer in mir wieder entfacht.

Was tun?

Immer wieder bei mir ankommen. Meine Aufmerksamkeit vom Außen weglenken und in mich hinein. Die emotionalen Fühler, die ich immer und überall aktiv am Laufen habe, einziehen und stilllegen.

Und vor allem: Mich von dem Gefühl der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins lösen und meine Selbstwirksamkeit spüren. Ich lebe mein Leben weiter ungeachtet von Dingen im Außen!

 

Ich werde weiter beobachten und mich daran erinnern,

dass ich nicht der Hass bin.

Nachtrag selber Tag abends

Meine früheren Nachbarn hätten darüber gelacht, wenn ich nachts an ihre Wand getreten und gebrüllt hätte. Nett hätten sie gelacht. Mitfühlend hätten sie gelacht. Und das hätte die ganze Situation entschärft.

Aber ich kannte sie und sie kannten mich und wir mochten uns, auch wenn wir aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten und Ländern kamen.

 

Aber wenn der Hass erstmal da ist, ist es schwierig mit ihm umzugehen, weil er alles blockiert, was seine Existenz gefährdet.

Wut muss jedoch nicht zu Hass werden.

Die vielen kleinen Wutmomente werden erst dann zu Hass, wenn es zu den Personen, die die Wut in mir auslösen, keine soziale Verbindung gibt.

Ich kenne meine aktuellen Nachbarn nicht. Wenn ich sie kennen würde, und vielleicht sogar nett fände, würde ich mich trotzdem über ihr Verhalten ärgern, aber daraus würde kein Hass entstehen, weil ich mehr Verständnis hätte. Vielleicht würde ich dann sogar gezielt auf meinen Balkon gehen, wenn sie rauchen, um mich mit ihnen zu unterhalten.

Das „positive“ Gefühl der Unterhaltung würde dann mein empfundenes Ärgernis überdecken, dass meine Wohnung nach Rauch riecht.

Und wenn wir uns richtig gut verstünden, könnte ich dann vielleicht tatsächlich an die Wand treten und „RUHE!“ brüllen und sie wüssten, dass ich keine nörgelnde Tussi bin, die ihnen jeden Spaß verdirbt und gegen die sie sich zur Wehr setzen müssen.

Sie wüssten, dass ich einfach

ein anderer Mensch bin, der auch nur versucht sein Leben zu leben.

Wenn. Hass sich entwickelt, kann man nur Frieden in seine Gedanken birngen
Die Unendlichkeit der Trauer

Die Unendlichkeit der Trauer

Die Unendlichkeit der Trauer

Das Gefühl der Trauer ist eines dieser Gefühle, die einen für den Rest des Leben begleiten. Auch wenn die Intensität und die Häufigkeit des Gefühls über die Zeit abnimmt, überfällt sie einen von hinten, wenn man es gerade am wenigsten erwartet. Worin liegt der Unterschied zu Trauer um einen Verstorbenen und Trauer bei einer Trennung?

Die Hand, die ich nach dem Verstorbenen ausstreckt

Inhaltsverzeichnis über die Unendlichkeit der Trauer

Verlust endet niemals

Das Gefühl der Trauer in Verbindung mit dem Tod eines geliebten Lebewesens scheint niemals wirklich zu vergehen. Während andere Gefühle, wie Angst oder Wut, weiterziehen, begleitet einen die Trauer für den Rest des Lebens, da der Verlust niemals beendet werden kann.

Es ist das Gefühl der Unendlichkeit, das mit dem Tod einher geht.

Wenn man sich von einem Partner oder einer Partnerin trennt, geht auch das mit dem Gefühl des Verlustes und der Trauer einher. Trotzdem scheint sich diese Art der Trauer schneller zu regenerieren, der eigene Organismus überwindet diese Form des Verlustes rascher, als es der Tod mit sich bringt. Vielleicht liegt das daran, dass der Tod endgültig ist.

Die Zeiten, die man gemeinsam mit dem geliebten Menschen oder Lebewesen verbracht hat, werden unumstößlich nie mehr wiederkehren. Bei der Trennung eines Partners ist immer ein Hintertürchen offen. Der Partner ist irgendwo immer noch in der physischen Realität vorhanden, selbst wenn er oder sie ans andere Ende der Welt gezogen und verheiratet ist, das Hintertürchen, dass die alten Zeiten wiederkehren könnten, bleibt. Hilft das, den Verlust einer Partnerschaft schnell zu überwinden? „Schnell“ ist selbstverständlich relativ, das kann auch Jahre bedeuten, aber irgendwann kommt bei den meisten Menschen der Moment, an dem sie ein Bild des verlorenen Partners sehen und nichts mehr fühlen. Manchmal fragt man sich auch, wie man überhaupt etwas für diese Person empfinden konnte.

Die Trauer bei Tod jedoch ist anders. Da gibt es kein Hintertürchen, da gibt es kein hin und her und vielleicht doch nochmal: Es gibt nur den endgültigen Verlust, ein Für-Immer. Der Sand der Zeit rinnt einem unaufhaltsam durch die Finger, ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten und Wünsche.

Der Prozess der Trauer

Direkt nach dem Tod kommt eine Zeit des Erstarrens, als würde die Zeit stillstehen, nichts geht mehr vorwärts. Wie soll das Leben auch vorwärts gehen ohne diese geliebte Präsenz um einen? Ein dicker Nebel scheint einen einzuhüllen, dämpft alle Sinneseindrücke, macht einen taub für die Außenwelt. Aber wir wissen, das Leben geht weiter. Unaufhaltsam rinnt die Zeit weiter, während man sich selbst fragt, wie das denn gehen soll. Und all die Erlebnisse, all die geteilte Zeit mit dem geliebten Lebewesen sind unausweichlich beendet.

Es gibt kein Zurück mehr, nur ein Vorwärts.

Die Zeit heilt alle Wunden … Ist das so? Die Unendlichkeit der Trauer ist so unendlich, dass sie nie mehr zu verschwinden scheint. Die Trauer tritt in den Hintergrund, man schafft neue Erlebnisse, neue Erinnerungen, aber dann überfällt sie einen rücklings von hinten, wenn man es am wenigsten erwartet.

Vielleicht hat man einen kurzen Blick auf ein Bild geworfen oder die eigenen Gedanken haben einen zu der liebevollen, vergangenen Präsenz getragen und da ist er wieder: Dieser tiefe Schmerz um den Verlust und das Gefühl, nichts ändern zu können, für immer das Gefühl des Vermissens in sich tragend. Und egal, wie lange der Verlust her ist, wenn man in die Trauer eintaucht, spült sie einen mit sich hinfort und lässt einen einsam zurück.

Das Gefühl der Trauer: Was am Ende bleibt

Das Gefühl der Trauer wird leiser werden, es wird nicht mehr laut polternd über einen herfallen, es wird seltener kommen. Es wird zu dem Gefühl, etwas zurücklassen zu müssen. Es wird einen aber für den Rest des Lebens begleiten, vielleicht nur als kleiner Stich in der Herzgegend, aber es wird einen daran erinnern, dass man mal mehr war.

Deswegen lade ich die Trauer ein, mit mir hier sein zu dürfen. Sie wird mich für immer begleiten, es wäre ein sinnloser Kampf gegen sie. Sie ist jetzt ein Teil meines Lebens und es werden mit Sicherheit noch mehr Trauergefühle im Laufe meines Lebens hinzukommen.

Sei mir willkommen.

Nun begleitet uns das Gefühl der Trauer, anstatt das geliebte Lebewesen.

Ich vermisse dich

Für meinen kleinen Mann Trosky