Keine Freude fühlen können
…nur Ablehnung.
Freude zu fühlen ist ein wunderbares Gefühl der Wärme und Entspannung, der Sicherheit und Geborgenheit. Wie fühlt es sich aber an, wenn dieses Gefühl verloren gegangen ist? Wie fühlt es sich an, wenn nur noch Ablehnung in einem selbst vorhanden ist?
Hier sitze ich, frisch eingezogen in diese kleine, schnuckelige Wohnung in der Natur, mit einem Bach vor der Haustür und Suffolk-Schafen als Nachbarn. Wenn ich morgens aus der Haustüre trete, begrüßen mich zwitschernd die Vögel in den Büschen und nachts kann ich die Sterne beobachten ohne die ganze Lichtverschmutzung. Nach Jahren in einer emotionalen Enge habe ich jetzt meine eigenen vier Wände und sollte Freiheit fühlen… oder mich zumindest freuen. Aber ich fühle keine Freude. Im Gegenteil: Es gibt Teile in mir, die lehnen all das ab. Die hassen die Enge in der Wohnung, die hassen alles, was nicht so ist, wie es vorher war. Diese Teile möchten hier nicht leben. Es ist, als ob diese Persönlichkeitsanteile sich nicht freuen wollen. Sie wollen einfach nicht. Sie wollen all das Schlechte sehen, all das, was nicht funktioniert.
Und je mehr ich mich in diese Ablehnung hinein fühle, desto lauter wird das Gefühl der Ablehnung.
Es breitet sich in meinen Gedanken und in meinen Emotionen aus. Ich lehne immer mehr ab und immer weniger Freude bleibt übrig. Ich lehne diesen riesigen Fernseher ab, den ich zum Geburtstag bekommen habe. Ich lehne das Umzugschaos ab, das kleine Bad, *alles*. Es ist, als würde sich die Dunkelheit immer mehr um mich herum ausbreiten, je mehr ich mich darauf konzentriere.
Keine Freude fühlen können: Ist das eine Depression?
Ärzte oder Psychotherapeuten würden das wohl eine leichte bis mittelgradige Depression nennen. Das ist schließlich ihre Aufgabe: Zu benennen, was mit einem nicht stimmt, was krank ist, was weggemacht werden muss. Und dann beginnt der Kampf. Der Kampf wieder so zu werden, wie man früher war. Als man sich über alles gefreut hat, als es noch Helligkeit gab.
Ich habe diesen Kampf geführt und musste erkennen, dass er mich innerlich zerstört. Wie jeder Krieg der zwischen Nationen und Völkern ausgetragen wird, lässt auch der innere Krieg mit mir selbst nur Verlierer zurück.
Dieser Krieg in mir nimmt mir jede Energie und führt zu nichts.
Ich glaube keiner Diagnose mehr, weil sie mich festhalten lassen. Ich habe angefangen mich mit den Diagnosen zu identifizieren, ich wurde zu diesen Diagnosen. Ich bin halt so! Ich bin halt depressiv! Ich bin halt wütend! Ich bin halt traurig! Dadurch wurde mir klar, dass das aber gar nicht stimmt. Es gibt Teile in mir, die sind so. Aber das macht mich nicht aus.
Beobachtung ist der Schlüssel
Stattdessen habe ich gelernt meine Gefühle und Emotionen zu beobachten. Durch die Beobachtung lerne ich jeden Moment jeden Tages jedes Gefühl, jeden Persönlichkeitsanteil in mir kennen, fühle in ihn hinein, zerlege und zerdenke und zerfühle ihn. Und dann treffe ich die Wahl etwas anderes zu fühlen.
Ich zwinge mich nicht dazu. Ich kämpfe nicht.
Ich schaue mir einfach meine Optionen an und treffe eine Wahl. Lasse die Ablehnung gegen die neue Wohnung los, lasse meine Ablehnung gegen den Fernseher los. Alles darf so sein. Ich zwinge mich nicht mich zu freuen. Die Freude wird sich ganz natürlich einstellen, wenn ich die Ablehnung loslassen kann.
Dafür muss ich erkennen, dass die Ablehnung vorhanden ist, ich aber nicht diese Ablehnung bin.
Anstatt mich weiter von der Ablehnung hinunter ziehen zu lassen bis sie mein gesamtes Sein eingenommen hat, trete ich mental und emotional einen Schritt zurück, beobachte mich dabei wie ich emotional immer enger werde und dann treffe ich die Wahl, nicht so zu sein.
Ich atme tief ein und komme wieder im Hier und Jetzt an. Dann stehe ich auf und zünde überall in der Wohnung Kerzen an. Und mit ihrem Licht kommt auch in mir immer mehr Licht an. Die dunkle Wolke zieht weiter, so wie sie immer weiterzieht.
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