Der Drang, immer etwas leisten zu müssen
Der Drang, immer etwas leisten zu müssen, ist tief in mich eingebrannt. Selbst bei Dingen, die mir Spaß bringen sollten, wie mein YouTube-Kanal oder dieser Blog hier, kommt immer wieder der Druck auf, mehr zu machen, gepaart mit dem Gefühl, nicht genug gemacht zu haben. Dabei gibt es in meinem Leben niemand, der mir irgendeinen Druck macht, es gibt nur mich selbst. Und dieser Drang scheint jegliche Aufgaben in meinem Leben zu vergiften.
Inhaltsverzeichnis über „Der Drang, immer etwas leisten zu müssen“
Heute ist ein Tag, an dem ich den Drang verspüre etwas leisten zu müssen
Schon wieder kein Video gedreht. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, ein weiteres Video über meine Geschichte bei YouTube zu veröffentlichen.
Und je mehr Stunden und Tage folgen, in denen ich nichts leiste, desto unruhiger werde ich (dabei habe ich schon ein paar Videos aufgenommen, die ich noch veröffentlichen möchte 🤦🏻♀️).
Ich MUSS doch irgendetwas machen
Schließlich habe ich inzwischen 103 Follower, die erwarten das. Und auch wenn ich nicht weiß, ob irgendwer diesen Blog liest, so habe ich trotzdem den Drang, immer etwas leisten zu müssen, z.B. einen weiteren Beitrag zu schreiben.
Und je unruhiger ich werde, desto mehr blockiert mein Gehirn jegliche Form der Kreativität. Das musste ich erst als Erwachsene lernen: Dass ich Kreativität besitze, dazu habe ich einen Beitrag geschrieben.
Aber Kreativität kann ich nicht mit meinem rationalen Verstand kontrollieren, ich kann ihr nur erlauben da zu sein.
Dann fließt es. Wie Wasser fließen die Ideen durch mich durch und manche ergreife ich und setze sie um und andere lasse ich einfach weiterziehen. Vielleicht kommen sie irgendwann wieder, vielleicht auch nicht.
Tatsächlich bringt es mir nichts, wenn ich sie notiere, weil ich bereits in einer halben Stunde kein Interesse mehr daran haben werde, die Idee umzusetzen. Und wenn ich es dann trotzdem versuche, ist es wie ein Kampf:
Ich versuche das Wasser wieder an die Quelle zurückzudrängen, was enorm viel Energie verschwendet und selten von Erfolg gekrönt ist
Aber gerade sind keinerlei Ideen in meinem Kopf. Mein Kopf ist leer gefegt und bei dem Gedanken daran, dass ich jetzt aber doch etwas veröffentlichen muss, krampft sich alles in mir zusammen.
Ich möchte nicht einfach IRGENDETWAS veröffentlichen, damit ich diesem Drang, immer etwas leisten zu müssen, nachgeben kann. Ich möchte etwas aus mir selbst heraus erschaffen.
Wie die Realität aussieht
Schauen wir uns die Realität an: Ich denke nicht, dass meine 103 Follower bei YouTube tagtägliche Bespaßung von mir erwarten. Genauso wenig wie meine Blogbeiträge.
Ich verdiene nicht meinen Lebensunterhalt mit der Website oder dem YouTube-Kanal. Ich habe keine Vorgesetzten, die mir im Nacken sitzen und mir auf die Finger schauen. Und auch sonst ist da niemand in meinem Leben, der mir irgendeinen Druck macht.
Der Drang, immer etwas leisten zu müssen, kommt aus mir selbst heraus. Natürlich folgen mir Leute bei den sozialen Medien, weil sie in irgendeiner Form eine Erwartung an den Kanal haben. Und diese Erwartung übersetzt mein traumatisiertes Gehirn damit, dass es mehr Leistung erbringen muss.
Der Spaß meines Lebens
Das alles könnte auch ein großer Spaß für mich sein.
Wie witzig ist das denn: Ich mache Videos über Gefühle und Emotionen und hab dann auch noch den Mut, diese bei YouTube zu veröffentlichen. Egal, ob ich das jeden Tag mache oder nur einmal im Monat.
Ich habe einfach Freude daran, meine Erkenntnisse der letzten Jahre mit anderen zu teilen und es gibt mir das Gefühl nicht alleine damit zu sein. Weil ich tatsächlich WEIß, dass ich nicht alleine damit bin. Nur spricht niemand darüber.
Genauso mit den Blogbeiträgen. Ich wusste nicht, dass ich gerne schreibe. Das wurde mir erst in den letzten Jahren klar. Und es macht mir wirklich Spaß, das, was ich eh jeden Tag mache (nämlich mich mit meinen Emotionen und Gefühlen auseinanderzusetzen) in Worte zu fassen und es an andere weiterzugeben.
Weil ich mir wirklich wünsche, dass es einen Unterschied macht. Dass andere sich in meinen Geschichten wiederfinden. Dass es andere bereichert.
Losgelöst von Profitgier und Fremdwert
Einfach nur, weil ich die Zeit habe und Spaß daran.
Warum empfinde ich also Druck dabei?
Der Druck ist nicht immer da. In dem Moment, in dem ich mich lösen kann von den Erwartungen anderer und vor allem, den Erwartungen von mir selbst, fließt die Kreativität. Dann scheint alles in mir offen und frei zu sein.
Aber genauso wie mein nicht angeborener Perfektionismus ist auch der Drang, immer etwas leisten zu müssen, erlernt.
Unsere Kindheit formt uns
Als Kind habe ich geglaubt nur Anerkennung und Liebe zu bekommen, wenn ich etwas leiste und das musste dann auch perfekt sein.
Natürlich war das nicht wahr
Vor allem für meine Mutter konnte ich die Dinge nie perfekt genug machen und ich habe nie genug geleistet. Für sie war ICH das Problem, nicht das, was ich leiste.
Und als Erwachsene musste ich dann erkennen, dass ICH gar nicht das Problem war oder bin, sondern dass SIE das Problem war und immer noch ist.
Aber als Kind fand diese Verknüpfung statt:
Wenn ich etwas leiste, werde ich gelobt, vielleicht bekomme ich auch ein Geschenk, dann war ich brav und wurde geliebt.
Es war also überlebensnotwendig, immer etwas zu leisten. Zu zeigen, dass ich es wert war, geliebt zu werden. Dass mein Leben eine Daseinsberechtigung hatte.
Der Großteil meiner Energie floss dementsprechend in die Aufrechterhaltung eines perfektionistisch ausgeführten Funktionierens.
Der Drang, immer etwas leisten zu müssen, sitzt tief
Gerade kommen mir die Tränen, wenn ich über den Wert meines Lebens und meine Daseinsberechtigung nachdenke. Das ist, was meine traumatisierten Persönlichkeitsanteile wollen:
Sie wollen anerkannt werden und eine Bestätigung dafür, dass sie leben dürfen
Und das bedeutet für diese Anteile, immer etwas zu leisten bis hin zur Selbstaufopferung. Auch bei Dingen, die eigentlich Spaß bringen sollten, wie mein YouTube-Kanal und dieser Blog, setzt dann dieser Drang ein.
Für diese Anteile ist es überlebensnotwendig Erwartungen zu erfüllen und zu funktionieren.
Meine erwachsenen Anteile
Ich bin aber nicht mehr nur meine traumatisierten Persönlichkeitsanteile.
Und mein erwachsenes Ich weiß um den Drang, etwas leisten zu müssen, und tut das einzig Hilfreiche:
Nichts.
Die schwersten Übungen sind die, in denen man passiv bleibt, um sie zu lösen
Anstatt also diesem Gefühl zu glauben und diesem Drang unreflektiert nachzugeben, beobachte ich den Drang und erlaube ihm da zu sein ohne ihn auszuleben. Aktuell habe ich die Möglichkeit mir Ruhe zu gönnen, wenn Ruhe notwendig ist. Und das bringt mich am schnellsten weiter.
In dem Moment, in dem ich mich lösen kann von dem Drang, etwas leisten zu müssen, öffnet sich in mir ein neuer Raum mit neuen kreativen Möglichkeiten. Dann bin ich nicht mehr meine Vergangenheit, sondern ich lebe in der Gegenwart und gestalte meine Zukunft, so wie ich das will.
Ich brauche keine Daseinsberechtigung mehr von anderen. Ich selbst bin die Bestätigung für meinen Wert.
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