Das Gefühl von Hunger und das Gefühl von Durst – Unerlässlich?
„Hunger“ und „Durst“ sind als essentielles Gefühl in unserem Körper, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass der Körper Nahrung und Flüssigkeit braucht, um physisch zu überleben. Aber ist das wirklich so? Worin liegt dann die Unterscheidung von einem Hungergefühl zu einem Durstgefühl und den tatsächlichen Bedürfnissen unseres Körpers? Besonders im Hinblick auf sogenannte „Essstörungen“ wäre es hilfreich diese Annahme zu hinterfragen und neue Ansätze zu finden.
Inhaltsverzeichnis über das Gefühl von Hunger und das Gefühl von Durst
Gefühl „Durst“ vs. physische Empfindung
Heute Nacht erwachte ich mit einem trockenen Gefühl im Mund. Ich hatte Schwierigkeiten zu schlucken, weil man Hals total ausgetrocknet schien. Dabei empfand ich jedoch keinerlei Gefühl von Durst, während ich die Nächte davor mit einem totalen Durst aufgewacht bin ohne jedoch ein Trockenheitsgefühl im Mund zu verspüren.
Hä? Es sollte doch wohl klar sein, dass das Gefühl des Durstes das Signal meines Körpers ist zu sagen, dass ich etwas trinken soll, damit er die benötigte Flüssigkeit bekommt, die er zum Überleben braucht. Stattdessen wurde mir klar, dass das Gefühl „Durst“ nicht zwangsläufig etwas mit dem Bedürfnis meines Körpers nach Flüssigkeit zu tun haben muss.
Ist das verrückt? Vermutlich.
Ist das Gefühl des Durstes gleichbedeutend mit einem Mangel an Flüssigkeit in meinem Körper?
Gefühl „Hunger“ vs. physische Empfindung
Mit Hunger ist das ähnlich. Ich habe selten Hunger. Ich spüre, wenn mein Körper Energie braucht, er wird dann kraftlos, erschöpft, die Muskeln haben kaum noch Energie. Das ist mein Signal ihm Nahrung zuzuführen. Oder ich spüre, dass mein Magen leer ist. Aber das sind alles rein physische Empfindungen, kein Gefühl.
Das Gefühl „Hunger“ übersetze ich gerne mit dem Wort „Appetit“ . Es ist ein Gefühl, dass sagt: „Oh, ich habe jetzt Lust etwas zu essen und zwar genau das!“. Aber dieses Gefühl hat nicht unbedingt etwas zu tun mit der Notwendigkeit meinem Körper Essen zuzuführen.
Natürlich bedingen sie sich alle gegenseitig. Das physische Bedürfnis nach Flüssigkeit und Nahrung geht einher mit dem Gefühl „Durst“ oder „Hunger“, genauso wie das Gefühl „Durst“ oder „Hunger“ einher geht mit dem Bedürfnis nach Flüssigkeit und Nahrung. Als Menschen lernen wir früh, all diese Empfindungen in einen Topf zu werfen. Irgendwann sind wir nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, ob das Signal auf rein physischer Ebene stattfindet oder ob dahinter das Gefühl von „Durst“ oder „Hunger“ steckt.
Diese Tatsache ist besonders für Menschen interessant, die das Gefühl haben, dass ihr Hunger unstillbar ist. Dabei sollte die Frage im Mittelpunkt stehen:
Woher kommt mein Gefühl des Hungers tatsächlich?
Ein Leben ohne das Gefühl „Hunger“
Das Gefühl „Hunger“ motiviert uns etwas zu essen. Im Gegensatz zu dem physischen Empfinden will dieses Gefühl gestillt werden. Ein unglaubliches Befriedigungsgefühl setzt ein, wenn man seinen Hunger stillt. Zu essen, wenn man hungrig ist, macht viel Spaß, es berauscht richtig. Gerade in der westlichen Zivilisation ist dieses Spaßgefühl ein wenig verloren gegangen, weil wir zu jeder Zeit auf jede Art von Nahrung zugreifen können. Trotzdem wird Essen als Belohnung eingesetzt: Wenn man eine schwierige Aufgabe erledigt hat, belohnt man sich hinterher mit etwas Essbarem. Oder wenn man traurig ist, gibt es „Soul-food“ , Essen, das die Seele streichelt.
Diese Form der Befriedigung ist jedoch kurzfristig. Bis „der nächste kleine Hunger“ kommt, der wieder befriedigt werden möchte. Und so weiter und so fort. Erinnert irgendwie an klassisches Suchtverhalten.
Studien zeigen, dass selbst Menschen, denen der Magen entfernt wurde, ein Hungergefühl haben. Schon allein das zeigt, dass das Gefühl „Hunger“ nicht zwangsläufig etwas mit dem Bedürfnis nach Nahrung zu tun hat.
Indigene Völker in Südamerika kauen Kokablätter, um das Hungergefühl zu unterdrücken. Dabei ist klar, dass es hierbei nicht darum geht, dem Körper Nahrung zuzuführen oder so zu tun, als ob er Nahrung bekäme. Sondern es geht dabei darum, das Gefühl des Hungers zu unterdrücken, also den eigenen Geist davon zu überzeugen, dass das Gefühl des Hungers nicht gestillt werden muss.
Ohne Hunger fehlt die Motivation zu essen.
Ohne Hunger fehlt mir oft die Motivation zu essen oder wenn ich esse, zu wissen, was ich essen soll. Grob kann ich sagen, ob es etwas Süßes oder Salziges sein soll, aber alle anderen Entscheidungen erweisen sich als schwierig. Und auf das physische Signal meines Körpers zu warten, dass er Nahrung braucht, kann auch kontraproduktiv sein, weil Essensbeschaffung eine gewisse Zeit benötigt. D.h. konkret: Wenn ich jetzt das Signal meines Körpers nach Nahrung bekomme, muss ich erstmal kochen und Essen zubereiten, es dauert also bestimmt noch ne halbe Stunde bis zur Nahrungsaufnahme. Aber mein Körper braucht JETZT etwas.
Ist in diesem Fall das die Aufgabe des Gefühls? Mir zu helfen eine Entscheidung zu treffen in einer Welt, in der ich viele Entscheidungsmöglichkeiten habe? Mithilfe des Hungers werde ich motiviert, mich auf Nahrungssuche zu begeben, BEVOR mein Körper keine Energie mehr hat. Das Gefühl unterstützt mich darin physisch zu überleben. Aber es ist nicht NOTWENDIG, um physisch zu überleben. Denn ich WEIß, dass mein Körper Nahrung und Flüssigkeit braucht, unabhängig vom Gefühl. Das Gefühl unterstützt mich „nur“.
Manipulation des Gefühls von Hunger
Was passiert, wenn dieses Gefühl bereits in jungen Jahren manipuliert wird? Vielleicht werden Erlebnisse an dieses Gefühl geknüpft, positive wie negative, und das wiederum beeinflusst das Hungergefühl als Erwachsener?
Wenn ich als Säugling nur Geborgenheit und Nähe empfunden habe, wenn ich gestillt wurde und sich dieses Gefühl der Geborgenheit an das Hungergefühl geknüpft hat? Noch schwieriger: Das Hungergefühl überlagert das eigentliche Bedürfnis nach Geborgenheit und als Erwachsener versucht man durch Essen dieses Geborgenheitsgefühl wieder herzustellen ohne sich bewusst zu sein, dass man nach dem Gefühl Geborgenheit hungert, anstatt nach physischem Essen?
Vielleicht wurde auch absichtlich durch Caretaker manipuliert? Essenentzug als Strafe eingesetzt, so dass das Kind lernen musste, das eigene Hungergefühl zu kontrollieren, weil es sonst wahnsinnig geworden wäre, vor vollen Küchenschränken zu verhungern? Im Erwachsenenalter muss man dann erst lernen, was der Körper braucht und seine Signale richtig zu verstehen, weil man in der Kindheit aus einem Überlebenstrieb heraus gelernt hat, diese Signale zu missachten?
Gerade Durst- und Hungergefühle zu unterscheiden ist ein großes Thema. Wenn Eltern ihrem Kind verbieten etwas zu trinken, wenn es Durst hat, weil es gleich Essen gibt. Oder umgekehrt: Das Kind muss trinken anstatt essen, weil die Eltern mit dem Gewicht des Kindes unzufrieden sind.
Es gibt viele „Erziehungsmethoden“ , die die Gefühle von Hunger und Durst manipulieren. Da ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Erwachsenen keinen ausgeglichenen Umgang mit Essen und Trinken haben und die Signale ihres eigenen Körpers nicht richtig deuten können. Unter den Gefühlen von Durst und Hunger stecken meist einige Erfahrungen aus der Kindheit, die ans Licht kommen müssen, damit man einen ausbalancierten Umgang mit Durst und Hunger finden kann.
Wie gehe ich damit um?
Mein Blick auf Hunger und Durst ist „anders“ , das ist mir durchaus bewusst. Ich weiß, dass ich das Gefühl „Hunger“ von meinem physischen Bedürfnis nach Nahrung getrennt habe, das geht auf Kindheitserfahrungen zurück, die das notwendig gemacht haben. Das ist ok so. Ich muss das nicht kontrollieren. Vielleicht ändert sich das irgendwann wieder. Vielleicht nicht. Ich bin mir einfach darüber bewusst, dass es das Gefühl „Hunger“ und das Gefühl „Durst“ gibt, diese aber nicht unbedingt mit einer physischen Nahrungsaufnahme einher gehen müssen. Mit diesem Wissen (und mit diesem Gefühl) ist es mir möglich eine Entscheidung zu treffen.
Ich habe die Wahl, ob ich dem Gefühl „Hunger“ nachgehen möchte oder nicht.
Ich kann meinem System vermitteln, dass wir trotzdem überleben werden, auch ohne den kleinen Hunger.
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