Frühe Kindheitserinnerungen
Frühe Kindheitserinnerungen treten laut aktueller Wissenschaft frühestens ab dem 3. Lebensjahr auf. Ich erlebe das aber tagtäglich anders. Mein Körper erinnert sich. Vor allem erinnert er sich an Gefühle. Zu manchen Gefühlen gibt es Bilder oder Filme dazu in meinem Kopf, zu anderen nicht. Aber mein Körper erinnert sich genau daran, wie es sich angefühlt hat, als ich nichts tun konnte. Als ich hilflos meinem Umfeld ausgeliefert war. Selbst, als ich meine Emotionen abgespalten hatte, schickte mir mein Körper Warnungen.

Inhaltsverzeichnis über „Frühe Kindheitserinnerungen“
! Hinweis !
Ich möchte keine Trigger setzen.
In keinem meiner Beiträge werde ich im Detail beschreiben, was ich erlebt habe. Das ist auch nicht notwendig, weil das Problem nicht das ist, was mir passiert ist, sondern das Problem sind die Gefühle, die ich dabei hatte.
Trotzdem kann der Beitrag Gefühle in einem auslösen, die man lieber nicht fühlen möchte. Am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er bereit dafür ist.
Gefühlserinnerungen
In diesem Beitrag soll es um diese Gefühlserinnerungen gehen.
Es sind keine Erinnerungen, wie sich die Wissenschaft das vorstellt: Bilder oder Videos im Kopf, die wie ein Film ablaufen.
Stattdessen scheint die Wissenschaft nicht bereit zu sein anzuerkennen, woran wir uns wirklich erinnern: an Gefühle.
Gefühle reichen bis zu unserer Geburt zurück, eine Zeit, in der wir kein sprachliches Konzept in unserem Kopf hatten, um das auszudrücken, was passierte. Aber trotzdem können sich unsere Körper daran erinnern.
Gefühle, die im Hier und Jetzt zu passieren scheinen, sind oft „nur“ gefühlte Erinnerungen aus früheren Zeiten. Es scheint keine klare Verbindung zwischen den Gefühlen heute und den Gefühlen aus der Vergangenheit zu geben. Aber trotzdem erinnert sich unser Organismus. All diese frühen Kindheitserinnerungen sind in unseren Körpern gespeichert und werden durch diese auch wieder zum Ausdruck gebracht.
Schrittweise Erinnerungen
Ich verwende für diesen Beitrag Worte und male damit Bilder, die einzige Möglichkeit auszudrücken, was in meiner Kindheit in mir vor sich ging. Aber in den wenigsten Fällen gibt es Bilder in meinem Kopf dazu.
Trotzdem können diese Beschreibungen triggern. Du allein entscheidest, ob du das lesen willst.
Du verpasst nichts, wenn du es nicht liest
Säugling
Ich liege da und starre an die Decke.
Ich kann mich nicht beschäftigen oder ablenken, ich bin komplett abhängig von erwachsenen Menschen.
Und dann höre ich die Schritte.
Oh Gott, diese Schritte.
Wenn diese Schritte kommen, bringen sie nichts Gutes. Niemals.
Und ich kann nicht weg. Ich kann nirgends hin. Ich kann nur hoffen, dass sie weiter gehen, nicht bei mir stehen bleiben.
Bitte, geht weiter.
Ich kann nichts tun. Ich kann nur beobachten und mit meinem Bewusstsein nicht mehr anwesend sein. Bitte sei nicht in deinem Körper anwesend.
Ich kann nichts tun
1 1/2 Jahre
Irgendetwas stimmt nicht. Ich krieg keine Luft mehr.
Oh Gott, ich krieg keine Luft mehr, was mach ich nur?
Bloß nicht zeigen, dass es dir nicht gutgeht, Johanna. Versteck dich, damit sie es nicht merkt. Bestimmt geht es von alleine wieder weg und sie merkt es erst gar nicht.
Versteck dich hinter der Couch, damit sie dich nicht sieht. Sonst flippt sie wieder aus und alles wird viel schlimmer. Sie wird es viel schlimmer machen. Wir kriegen das alleine hin, das geht bestimmt gleich wieder weg. Bestimmt geht es gleich wieder weg.
Da kommen ihre Schritte.
35 Jahre
Kaum liege ich abends im Bett, fängt sie unten an durchs Haus zu laufen. Ich spüre ihre Schritte körperlich durch meinen Körper hallen.
Und dann bin ich hellwach und kann nicht einschlafen. Ich kann nur noch auf diese Schritte lauschen und hören, wo sie sich hinbewegen. Jetzt sind sie in der Küche, dann im Bad.
Es nervt mich.
Und gleichzeitig geht es mit meinen Ängsten einher, was ich überhaupt nicht verstehe. Meine Gedanken erzählen mir, das all das Schreckliche passieren wird, wovor ich Angst habe.
Das ist total albern
Ich würde mir gern Ohrstöpsel in die Ohren machen, aber irgendwie sorge ich mich, dass ich dann nicht mitbekomme, was um mich herum passiert.
Als ob ein Einbrecher käme!
Ich liege in meinem Zimmer im ersten Stock im Haus meiner Eltern, wer soll da bitte kommen?
Erst nachdem ich meine Zimmertür abgeschlossen habe, kann ich mir Ohrstöpsel in die Ohren machen und mich soweit entspannen, dass ich einschlafen kann.
40 Jahre
Ihre Schritte wecken mich immer.
„Sie“ ist die Nachbarin aus der Wohnung nebenan und sie hat dieselben Schritte wie meine Mutter. Und da mein ganzer Organismus von klein auf gelernt hat, diese Schritte zu fürchten, geh ich mitten in der Nacht in eine Übererregung.
Ich weiß, dass es nicht die Schritte meiner Mutter sind. Ich weiß, dass diese Schritte, die ich höre, nichts mit mir zu tun haben.
Trotzdem reagiert mein Körper sofort und ich kann nichts dagegen tun.
Ich empfinde keine Panik oder Angst, mein ganzes System ist einfach in Alarmbereitschaft. So genau kann ich gar nicht beschreiben, was das bedeutet. Dann liege ich einfach hellwach in meinem Bett und kann nur diesen Schritten lauschen, bis die Nachbarin ins Bett geht.
Erst dann fährt mein System wieder runter und ich kann einschlafen.
Frühe Kindheitserinnerungen – War es wirklich so schlimm?
Es gibt Momente in meinem Leben, da frage ich mich, ob das mit meiner Kindheit wirklich so schlimm war.
In diesen Momenten kann ich den Horror einfach nicht spüren, ich bin komplett davon abgespalten. Dann ist es mir peinlich zu behaupten, ich wäre traumatisiert worden. Es gibt Menschen auf diesem Planeten, die haben viel schrecklichere Dinge erlebt!
Das war alles doch gar nicht so schlimm damals.
Das rede ich mir nur ein (Wortlaut meiner Eltern)
Und dann kommen Traumatage.
Tage, an denen ich Krämpfe im Rücken haben, kaum essen kann und nur im Überlebensmodus bin. Tage, an denen mir alles wehtut und ich kaum die Augen offen halten kann.
Und an diesen Tagen kommen frühe Kindheitserinnerungen, mit all den Gefühlen, die ich als Kind nicht fühlen konnte. Und ich erinnere mich wieder, wie schlimm ich meine Kindheit empfunden habe. Wie schrecklich das Gefühl der Abhängigkeit war und die damit einhergehende Hilflosigkeit.
Dabei möchte ich mich nicht erinnern.
Aber mein Körper scheint sich erinnern zu wollen. Als ob er all die engen Gefühle los werden möchte, die ihn davon abhalten ein freies Leben zu führen.
Die Schritte
Ich habe die letzten zehn Jahre im Haus meiner Eltern gelebt und wusste die meiste Zeit nichts von irgendwelchen Traumata.
Ihre Schritte haben mich genervt, aber ich hatte keinerlei Verbindung dazu, warum sie mich so unruhig werden lassen.
Jetzt weiß ich, dass die Schritte in meiner Kindheit angekündigt haben, wenn etwas Schlimmes passieren wird. Die Schritte waren die Warnung für meinen Organismus, dass ich mich jetzt besser schützen muss.
Selbst, als ich von den Traumata abgespalten war und nichts davon wusste, hat mein Organismus diese Schutzreaktion gezeigt. Und meine Gedanken haben versucht irgendeine Logik zu erkennen, warum ich so angespannt bin, wenn ich die Schritte höre. Ich habe tatsächlich geglaubt, ich hätte Angst vor Einbrechern, die mir etwas antun. Dabei war die Gefahr nicht außerhalb des Hauses, sondern innerhalb.
Und so erinnert sich mein Körper an Dinge, für die ich keine Bilder oder Filme im Kopf habe. Aber er weiß Bescheid und zeigt mir die emotionalen Baustellen in mir.
Nur, weil ich mich nicht erinnere, bedeutet das nicht, dass es nicht stattgefunden hat!
Am Ende ist es für mich auch nicht relevant, ob die Bilder, die ich gerade mit Worten gemalt habe, tatsächlich frühe Kindheitserinnerungen sind oder nicht. Sie transportieren einfach die Gefühle und erlauben es mir, das zu fühlen, was in meiner Kindheit zu schrecklich war, als dass ich es hätte fühlen können.
Meine aktuelle Wohnung
Wie lange ich noch in dieser Wohnung wohnen bleiben kann, mit den Schritten dieser Nachbarin? Keine Ahnung.
In manchen Zeiten fügt mir das Hören dieser Schritte physische Schmerzen zu. Gleichzeitig aber erlauben die Schritte meinem Organismus zu lernen, dass diese Schritte im Hier und Jetzt keine Bedrohung mehr sind. Wie in meiner Kindheit auch, kann ich nur dabei sitzen und nichts an den Schritten selbst ändern. Aber anders als in meiner Vergangenheit, bewegen sich die Schritte nie auf mich zu, um in eine Auseinandersetzung mit mir zu gehen.
Aktuell sehe ich diese emotionale Auseinandersetzung mit diesen Schritten als Chance meine emotionalen Wunden aus der Kindheit zu heilen. Dafür müssen sie aber erst gesäubert und gefühlt werden.
Die Schritte der Nachbarin geben mir aktuell die Möglichkeit mich zu erinnern. Erst durch die gefühlte Erinnerung kann ich mir bewusst werden über die emotionalen Wunden.
Aber für den eigentlichen Heilungsprozess wird es sicherlich notwendig sein, dass sie oder dass ich ausziehe.
Damit die alten Wunden nicht ständig wieder neu aufgerissen werden. Nachdem die Wunden gesäubert sind, brauchen sie Ruhe, um sauber verwachsen zu können.
Aber das werde ich dann sehen

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