Der Schrank der unterdrückten Gefühle

von | 08 Mrz 2024 | Gefühle verstehen

In jedem von uns gibt es einen Schrank. Einen Schrank, in den wir alles Emotionale hineinstopfen. Alles, womit wir uns nicht auseinandersetzen wollen, was uns Angst macht. Es ist nicht nur eine Büchse, sondern ein riesiger, fest eingebauter Wandschrank in unserem Selbst, der all die Dinge beherbergt, die uns prägen und die unsere Persönlichkeit ausmachen. Bis nichts mehr in den Schrank hineingeht…

Kindliche Wut erleben

Stell es dir vor…

Stell dir einen riesigen Schrank vor, der vollgestopft ist mit allem möglichen Krimskrams: alten Spielen, Nähmaterialien, Büchern, Stoffen und, und, und. All diese Dinge stehen für dein Leben. Sie repräsentieren dich selbst, deine Erfahrungen, Konditionierungen, Überzeugungen, alles, was du bis jetzt erlebt und erfahren hast.

Und in diesen Schrank stopfst du immer mehr Dinge hinein, so dass es immer schwieriger wird die Türen zu schließen. Je mehr Erfahrungen du machst, desto voller wird der Schrank, bis er bis zum Rand mit all dem gefüllt ist, was du dir nicht anschauen magst: Als dein Mann sich von dir getrennt hat, als du in der Schule gemobbt wurdest, als deine Eltern dir immer wieder eingebläut haben, dass du ein braves Mädchen sein musst, und, und, und.

Viele dieser Sachen machen dir Angst und du bist froh um den Schrank und seine Türen, die du immer fest hinter dir abschließt. So musst du dich nicht jeden Tag mit diesen angstmachenden Sachen auseinandersetzen, sondern kannst „ein ganz normales Leben“ führen. Durch diesen Schrank ist es dir möglich dir einzureden, dass alles gut ist, dass es dir doch gut geht, dass es keine Probleme gibt.

Immer mehr Sachen kommen hinzu

Aber mit der Zeit purzeln immer wieder Sachen aus dem Schrank, die du aufheben und dir anschauen musst, um dann zu entscheiden, ob du das Ding, was rausgepurzelt ist, behältst oder lieber wegwirfst. Wenn du den Schrank öffnest, um was Neues hinein zu stopfen (z.B. als du so verletzt warst, als deine Freundin deinen Geburtstag vergessen hat), kommen immer wieder alte Verletzungen zu Tage, die du aber schleunigst wieder im Schrank verstaust.

Du machst nie eine große Aufräumaktion. Du redest dir ein, dass du grad keine Zeit hast, das machst du, wenn die Kinder aus dem Haus sind oder dein Mann gestorben ist, irgendwann in der Zukunft. Aber in Wirklichkeit sind das nur Ausreden. Du möchtest die Dinge in diesem Schrank belassen. Dort sollen sie für immer bleiben, so dass du tun kannst, als gäbe es sie nicht. All diese Dinge darin repräsentieren dich selbst und deinen Wert in der Welt.

Der Schrank der unterdrückten Gefühle ist wie das Monster unter deinem Bett: Niemand sonst kann es sehen, nur du kannst seine Anwesenheit fühlen.

Aber eines Tages passiert etwas und als du den Schrank öffnest, um etwas Neues hineinzustopfen, kommt dir all der Krimskrams entgegen, verteilt sich im ganzen Zimmer. Heraus kommen auch jede Menge Dreck, Staub, du glaubst zu ersticken. Der Berg an Dingen begräbt dich unter sich, macht dich bewegungsunfähig. Die Schwere und die Dunkelheit drücken dich nieder, lassen dich versteinern.

Dein erster Impuls ist es wegzurennen. Einfach alles so liegen zu lassen, all den Dreck und das Chaos. Bloß nicht hinschauen, nicht wahrnehmen, wovor du all die Jahrzehnte Angst hattest.

Du hast von Pillen gehört, die dir helfen über diesen Krimskrams hinwegzuschauen. Die helfen dir, dich nicht mehr darum zu kümmern, so dass du wieder dein „ganz normales Leben“ weiterführen kannst. Die Erinnerung an den Schrank soll durch diese Pillen komplett ausgelöscht werden und du musst dich nicht mit seinem Inhalt auseinandersetzen.

Aber der Schrank wird dadurch nicht weggehen. Vielleicht wirst du dir noch einen zweiten Schrank kaufen, den du mit neuen Erfahrungen vollstopfen kannst. Bis auch der voll ist. 

Die Pillen regeln das schon!

Kindliche Wut beim Spielen erleben

Aber eigentlich weißt du tief in dir drin, dass es Zeit ist aufzuräumen.

Die Aufräumaktion beginnt

Aufräumen bedeutet, jedes Ding einzeln in die Hand zu nehmen, es dir anzuschauen, es zu fühlen, noch einmal in diese ganz bestimmte Erinnerung einzutauchen und dann zu entscheiden, ob du es behältst oder es wegwirfst. Und alles, was du behältst wirst du schön ordentlich in den Schrank einsortieren.

Manche dieser Erinnerungen liegen so weit zurück, dass du keinerlei Bilder in deinem Kopf mehr davon hast. Aber das Gefühl, das du in dem damaligen Moment nicht fühlen wolltest, ist im Schrank verblieben und reißt dich jetzt in eine Vergangenheit zurück, die du hinter dir lassen wolltest. Aber diese Vergangenheit konnte niemals hinter dir bleiben, weil du sie in deinem Schrank der Gefühle eingeschlossen hattest. Diese Vergangenheit war immer bei dir, hat dich nie verlassen.

Aber jetzt ist der Moment, in dem du Licht und Luft daran lässt. Dies ist der Moment, in dem du bereit bist, dich dem unangenehmen Gefühl zu stellen und zu erkennen, dass du nicht dieses Gefühl bist. Du bist nicht der Krimskrams aus deinem Schrank. Diese Dinge haben dich geformt, haben dich zu der gemacht, die du jetzt bist, aber sie definieren dich nicht mehr länger.

Und so beginnen Jahre des Aufräumens. Jahre, in denen du in jede Erinnerung eintauchen musst, weil sie sich aufdrängen. Alles, was du lieber in dem Schrank begraben hättest, kommt ans Licht und möchte gesehen werden. Und deine Aufgabe ist es, den Erinnerungen erlauben da zu sein, sich nicht von ihnen mitreißen zu lassen, nicht deine gesamte Gegenwart von ihnen einnehmen zu lassen. Und dann zu entscheiden, ob du sie behalten oder liebevoll in einen Karton räumen möchtest.

Jetzt, da alles aus dem Schrank gefallen ist, kannst du endlich selbst die Wahl treffen, wie dein Leben weitergehen soll ohne all diese Dinge aus der Vergangenheit, die dein Leben beschatten.

Alles ist ein Teil von dir und hat seine Daseinsberechtigung.

Im Tageslicht deines Bewusstseins sind die Schatten nicht mehr ganz so dunkel, sind die Abgründe nicht mehr ganz so tief. Und du kannst eine bewusste Wahl aus freier Entscheidung heraus treffen wie sich dein weiterer Lebensweg gestalten soll. Und die Dinge hinter den Schranktüren können dir keine Angst mehr machen, weil du sie gesehen hast und du weißt, dass du immer die Wahl hast.

Was ist, wenn „Depression“ nur das Zeichen unseres Körpers ist, dass unser Schrank der unterdrückten Gefühle voll ist und aufgeräumt werden muss?

Kindliche Wut bedeutet für die Erwachsenen einen achtsamen Umgang mit den eigenen Gefühlen lernen

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Blog

Das könnte dich auch interessieren

Helden-Geschichte
Helden-Geschichte

Wir alle schreiben unsere eigene Helden-Geschichte. Eine Geschichte über Verrat und Liebe, über Enttäuschung und Hoffnung, über Verletzung und Heilung. Wir sind die Helden und Heldinnen unseres eigenen Universums und am Ende der Reise wird es MEHR von uns geben, als wir je geglaubt haben, dass es möglich ist. Wir müssen nur den Mut haben voran zu schreiten und die Stärke in uns sehen. Und das bedeutet machmal, dem Außen nicht zu glauben.

mehr lesen
Geiz und Gier
Geiz und Gier

Geiz und Gier gehören sicherlich zu den Gefühlen, die wir uns lieber nicht anschauen wollen. Und schon gar nicht darüber sprechen! Dabei tragen wir alle diese Form der dunklen Gefühle in uns, weil sie der Spezies „Mensch“ vor Jahrtausenden das Überleben gesichert haben. Die Frage ist nur, ob sie heute in unserer Überflussgesellschaft überhaupt noch notwendig sind? Wollen wir überhaupt wissen, dass wir selbst diese Gefühle in uns tragen?

mehr lesen
Die weggeschlossene Vergangenheit – Trauma neu gedacht
Die weggeschlossene Vergangenheit – Trauma neu gedacht

„Trauma“ kann viele Bedeutungen haben. Menschen, die an Flashbacks und körperlichen Einschränkungen leiden, haben einen anderen Blick auf dieses Wort (und vor allem ein anderes Gefühl in Verbindung mit diesem Wort), als Professionelle das tun. Ich glaube, wir alle tragen traumatische Erlebnisse in unseren Körpern. Diese weggeschlossene Vergangenheit beeinflusst unser aller Leben positiv und negativ, in den meisten Fällen völlig unbewusst. Aber vielleicht ist es Zeit, ein bewusstes Leben zu führen?

mehr lesen
Daran erkennt man emotional unreife Menschen
Daran erkennt man emotional unreife Menschen

Emotional unreife Menschen geben anderen die Schuld an den eigenen emotionalen Zuständen, leben Emotionen ungefiltert aus oder sind überhaupt nicht in der Lage Emotionen zu zeigen. Das Spektrum ist breit gefächert und in der folgenden Liste sollen Verhaltensweisen aufgezeigt werden, die typisch sind für emotional unreife Menschen. Dabei soll die Liste nicht verurteilen und mit dem Finger auf andere zeigen. Stattdessen soll sie erhellen.

mehr lesen
Mein kleines Mädchen
Mein kleines Mädchen

Traumatisierte Persönlichkeitsanteile existieren in jedem von uns, auch wenn die meisten sie nicht sehen können oder wollen. Ich wusste die meiste Zeit meines Lebens nichts über meine verschiedenen Persönlichkeitsanteile und wie sie unbewusst mein Leben bestimmen. Inzwischen lebe ich mit meinen inneren Kindern und, wie mit physischen Kindern auch, birgt das einiges an Herausforderungen und ich musste lernen, mein eigenes Ego zurückzunehmen.

mehr lesen
Der Drang, immer etwas leisten zu müssen
Der Drang, immer etwas leisten zu müssen

Der Drang, immer etwas leisten zu müssen, ist tief in mich eingebrannt. Selbst bei Dingen, die mir Spaß bringen sollten, wie mein YouTube-Kanal oder dieser Blog hier, kommt immer wieder der Druck auf, mehr zu machen, gepaart mit dem Gefühl, nicht genug gemacht zu haben. Dabei gibt es in meinem Leben niemand, der mir irgendeinen Druck macht, es gibt nur mich selbst. Und dieser Drang scheint jegliche Aufgaben in meinem Leben zu vergiften.

mehr lesen
Über gute und böse Menschen
Über gute und böse Menschen

Sind die eigenen Eltern gute oder böse Menschen? Die Frage ist berechtigt, wenn das genau die Menschen waren, die durch ihre dysfunktionalen Verhaltensweisen die eigene Kindheit zu einem Horror gemacht haben, an dem man sein gesamtes restliches Leben knabbert. Gibt es überhaupt böse Menschen? Gerne würde ich dieses Schwarz-Weiß-Denken anwenden, weil es die Welt einfacher macht, vorhersagbarer. Aber in Wirklichkeit sind meine Eltern weder gute noch böse Menschen, sie sind einfach menschliche Wesen. Und das macht es so schwierig mit ihnen.

mehr lesen
Der unsicherste Ort, um Emotionen zu zeigen
Der unsicherste Ort, um Emotionen zu zeigen

Der unsicherste Ort, um Emotionen zu zeigen, ist mein familiäres Umfeld. Dort wurden all die emotionalen Wunden angelegt, die ich bis heute in mir trage und mit denen ich mein erwachsenes Leben teile. Vor allem meine Eltern sind dafür verantwortlich, dass ich allein bei dem Gedanken daran Emotionen zu zeigen, Scham und Angst empfinde. Und dann darf ich erkennen, dass ich aber nicht mehr die Scham und die Angst bin. Ich bin Ich. Und ich bin erwachsen.

mehr lesen
Das Gefühl der Sehnsucht
Das Gefühl der Sehnsucht

Aktuell fühle ich das Gefühl der Sehnsucht in mir. Sehnsucht nach anderen Menschen, nach anderen Lebensumständen, nach anderen Erfahrungen. Und dieses Gefühl geht mit einem Gefühl der Hilflosigkeit einher, weil ich aktuell nichts daran ändern kann. Sehnsucht kommt dann auf, wenn ich die Umstände nicht kontrollieren kann, die dazu führen würden, dass ich keine Sehnsucht mehr empfinden würde. Stattdessen ist mein Leben wie es ist und ich bin, wie ich bin.

mehr lesen
Die YouTube-Prostitution
Die YouTube-Prostitution

YouTube-Prostitution… Harte Worte, aber manchmal empfinde ich es genau so, wenn ich Videos bei YouTube hochlade: Als ob ich mich prostituieren würde für ein paar Likes und für mehr Follower. Die Plattform bietet die Möglichkeit einer schnellen Ablenkung vom Alltag. Aber ich möchte keine Ablenkung sein. Ich möchte etwas verändern. Ich möchte den Menschen helfen ihre eigenen Stärken wiederzufinden. Ist das vielleicht zu viel verlangt? Oder muss ich einfach lernen, wie ich den Umgang mit YouTube emotional besser verarbeite?

mehr lesen