Über gute und böse Menschen
Mein Umgang mit ambivalenten Eltern
Sind die eigenen Eltern gute oder böse Menschen? Die Frage ist berechtigt, wenn das genau die Menschen waren, die durch ihre dysfunktionalen Verhaltensweisen die eigene Kindheit zu einem Horror gemacht haben, an dem man sein gesamtes restliches Leben knabbert. Gibt es überhaupt böse Menschen? Gerne würde ich dieses Schwarz-Weiß-Denken anwenden, weil es die Welt einfacher macht, vorhersagbarer. Aber in Wirklichkeit sind meine Eltern weder gute noch böse Menschen, sie sind einfach menschliche Wesen. Und das macht es so schwierig mit ihnen.
Inhaltsverzeichnis über „Gute und böse Menschen“
Eine einfache Welt
Die Welt wäre um einiges einfacher, wenn es einfach gute und böse Menschen gäbe.
Dann könnte man klar sagen: Mit dir will ich nichts zu tun haben. Du bist ein böser Mensch.
Und du wirst meine beste Freundin, denn du bist ein guter Mensch.
Das würde jede Menge emotionalen Schmerz ersparen, weil wir schon vorher wüssten, wem wir vertrauen können und wem nicht. Es gäbe keine Unsicherheiten im Bezug auf andere Menschen und jeder von uns könnte die Wahl treffen, mit welcher Sorte Mensch er oder sie sich einlassen möchte.
Kinder sehen die Welt so. Für Kinder gibt es gute Menschen und es gibt böse Menschen. Deswegen mögen sie Märchen so gerne. Dort ist die Welt klar eingeteilt. Sie ist einfach gegliedert und dadurch vorhersagbar und sicher.
Die Wirklichkeit über gute und böse Menschen
Aber die Wirklichkeit sieht anders aus.
In Wirklichkeit ist die Welt um einiges komplexer als das.
Ich habe noch nie Menschen getroffen, die einfach nur böse waren. Oder Menschen, die einfach nur gut waren. Es mag beide Sorten auf diesem Planeten geben.
Die meisten Menschen halten sich jedoch in beiden Lagern auf
Und da wird es kompliziert.
Wie soll man die Welt sehen, wenn man sich immer fragen muss, wem man vertrauen kann und wem nicht?
Wie soll man als physisch abhängiges Kind überleben, wenn man nicht sicher sein kann, dass man bedingungslos geliebt und beschützt wird?
Man ist besonders in den ersten Lebensjahren darauf angewiesen, dass es Menschen gibt, denen man bedingungslos vertrauen kann.
Und genau das sind die Jahre, in denen man an der eigenen Situation nichts ändern kann. Man muss also zügig lernen, wie man mit der Komplexität des Lebens umgeht.
Sind die eigenen Eltern gute oder böse Menschen?
Genau solche komplexe Menschen sind die eigenen Eltern. Sie selbst haben wahrscheinlich Traumata in ihren Kindheiten erlebt, mussten über gute und böse Menschen lernen und mussten irgendwie ihr Leben auf die Reihe kriegen.
Und irgendwo in diesem Prozess bekamen sie Kinder, denen sie das einzige lehrten, was sie selbst kannten:
Erwachsene zeigen unreflektiert ihre eigenen Emotionen und die Kinder müssen das aushalten.
Was in der Kindheit passiert, bleibt in der Kindheit, richtig?
Meine Eltern
Bis heute spüre ich diese Zerrissenheit in mir über meine eigenen Eltern.
Wenn ich davon schreibe, wie schrecklich ich meine Kindheit empfunden habe, hört es sich an, als wären sie abgrundtief böse Menschen, die einem unschuldigen Wesen schlimme Dinge angetan haben.
In Wirklichkeit haben sie einfach das gelebt, was sie selbst gelernt haben.
Meine Eltern waren gute und böse Menschen
Das rechtfertigt nicht ihre dysfunktionalen Verhaltensweisen in meiner Kindheit!
Sicher hätte ich mir gewünscht, dass sie mal ihr Gehirn angeschaltet hätten und ein wenig reflektierter und ehrlicher mit sich selbst gewesen wären.
Aber meine Kindheit war, wie sie war.
Deswegen bin ich jetzt die, die ich bin. Im Guten wie im Bösen.
Aber es hilft mir, aus dem Schwarz-Weiß-Denken heraus zu kommen. Aus dem Glauben, es gäbe gute und es gäbe böse Menschen, und ich muss meine Eltern zu einer dieser zwei Kategorien zuordnen.
Zu welcher Kategorie gehören deine Eltern?
Mein Vater ist meistens ein sanfter Mensch. Bis heute ist er der Einzige, der weiterhin in meinem Leben ist. Der Einzige, der mich so annehmen kann, wie ich inzwischen bin.
Er ist der Einzige, der mir hilft. Ich habe keinerlei Unterstützung und ich empfinde tiefen Dank dafür, dass er weiterhin für mich da ist.
Manchmal ist er der Einzige, mit dem ich in vielen Wochen rede.
Inzwischen weiß ich, wie er tickt und wie ich mit ihm umzugehen habe. Auf Augenhöhe.
Das Lösen von der Vergangenheit
Und hier fängt das Lösen von meiner Vergangenheit an. Ich muss und ich darf erkennen, dass meine Eltern nicht mehr die sind, die sie in meiner Kindheit waren.
Und, was viel wichtiger ist: ICH bin nicht mehr das abhängige Kind von damals.
Das ist der wichtigste Aspekt
Ich habe keinerlei Erwartungen, dass meine Eltern verstehen, wie schlimm ich meine Kindheit empfunden habe.
Trotzdem kann ich erwachsen werden.
Und in dem Moment, in dem ich meinen erwachsenen Persönlichkeitsanteil in mir finde, ändert sich auch das Verhalten meiner Eltern. Ich erkenne ihre Grenzen und respektiere diese. Und das bedeutet z.B. zu lernen, wie ich meine Emotionen selbst reguliere.
Ich bin nicht mehr abhängig von ihnen.
In meiner Kindheit war ich aber abhängig und hatte Erwartungen und Bedürfnisse, die erfüllt werden mussten.
Jetzt erfülle ich mir selbst diese Erwartungen und Bedürfnisse.
Das Zauberwort hier ist auf Augenhöhe zu sein. Ich bin nicht mehr das Kind und blicke hinauf zu ambivalenten Eltern. Ich bin die Erwachsene, die die inneren Kindern in meinen Eltern sieht.
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